Irreführendes Schweigen
Mittwoch, 22.06.2022
Sie fragen Ihren Sohn, wie er den Mathe-Test am Vormittag bestanden hat. Er antwortet, er habe "nicht alle" Aufgaben lösen können; insofern sei der Test "nicht ganz" geglückt. Sie schlussfolgern: Immerhin konnte er viele Aufgaben lösen und der Test ist überwiegend geglückt. Wenn Sie später erfahren, dass Ihr Sohn keine einzige Aufgabe gelöst hat und der Test völlig daneben ging, sind Sie zurecht überrascht.
Das war natürlich eine Analogie; es geht heute um mehr als einen Test. In einem Presseartikel wurde kürzlich berichtet, die wegen eines städtischen Bauvorhabens erforderliche Umsiedlung der Maulwürfe vom Wiesengrund sei "nicht ganz" geglückt, denn "nicht alle" Tiere konnten gefangen werden. Daher habe die Stadt bei der Regierung von Oberbayern nun einen Antrag auf Befreiung gestellt.
Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Die Stadt hat - wie sie auf Vorhalt des landsbergblog bestätigte - am Wiesengrund keinen einzigen Maulwurf gefangen und umgesiedelt. Die Aktion ging komplett daneben. Die Stadt beantragt also keine Ausnahmegenehmigung für einen Restbestand an Maulwürfen (alle minus "nicht ganz alle"), sondern für die komplette Population.
Letzter Informationsstand der Medien und der Bürger dazu war eine Presseerklärung der Verwaltung vom 11. März, in der sie das "seit ein paar Wochen" praktizierte Verfahren minutiös schilderte und angab, die Umsiedlung würde "weitergeführt". Weiterführen kann man aber nur etwas, was bereits angefangen hat. Interessant: Bereits sechs Tage später ersetzte die Oberbürgermeisterin in einem Schreiben an einen Bürger bei ansonsten gleichem Text das Wort "weitergeführt" durch das Wort "durchgeführt"; das hat sicher einen Grund. Die Pressestelle der Stadt hat den von ihr selbst geschaffenen - im Ergebnis falschen - Eindruck, die Maulwürfe würden nach und nach umgesiedelt, hingegen einfach stehenlassen. Sie hat die Pressemitteilung ohne Ergänzung auf ihrer Website belassen. Sie hat den Medien die veränderte Sachlage am Ende der erfolglosen Aktion nicht mitgeteilt. Auch der anfragenden Zeitung gab sie dazu keinen Hinweis - diese habe ja nicht danach gefragt, heißt es. Das ist ein irreführendes Schweigen: Wenn sich ein in einer städtischen Pressemitteilung geschilderter Sachverhalt vollkommen geändert hat, ist eine neue Pressemitteilung mit dem neuen Sachstand erforderlich. Ohne Aufforderung, ohne Nachfrage, ohne detektivische Vorarbeit Dritter, proaktiv. Pressearbeit ist eine Bringschuld, keine Holschuld.
Dass das Thema virulent wird, wusste die Stadt schon geraume Zeit. "Es ist kein einziger Maulwurf umgesiedelt worden, weil keiner in eine Falle ging!" schrieb Tage zuvor ein irritierter Bürger an die Oberbürgermeisterin. Eine Antwort bekam er nicht.
Quelle: landsbergblog, www.landsbergblog.info. Zurück zum Artikelfeed