Im Fokus der Geschichte

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Wichtigster Motor war das Salz, für das es eine hohe Nachfrage gab, weil es zum Konservieren von Lebensmitteln und Gerben von Fellen gebraucht wurde. Ging es anfänglich nur um den Salztransport und die dabei anfallenden Zolleinnahmen, erhielt Landsberg 1353 das Recht, Salz umzuschlagen. So entstand der Salzstadel. Anliefernde Händler brachten als wichtigstes "Importgut" Wein mit in die Lechstadt, der bei den Bürgern bis in 16. Jahrhundert hinein tägliches Getränk Nummer Eins war.

1364 erhielt Landsberg die alleinigen Wasserrechte. Nun konnte der Lech unterhalb der Brücke durch ein Wehr aufgestaut werden, um den 700 Meter langen "Mühlbach" zu schaffen, einen Kanal mit zwei Gefällestufen zum Antrieb der Mühlräder. Die ermöglichten es, in Landsberg Mehl zu mahlen, was das Bäckerhandwerk zur Blüte brachte. In einer Bäckerordnung des Rates der Stadt Landsberg von 1507 findet sich übrigens die Anordnung, dass Bier allein aus Malz, Hopfen und Wasser bestehen dürfe - neun Jahre vor dem Erlass des inhaltsgleichen bayerischen und deutschen Reinheitsgebots.

Weitere Handwerker wie Weber, Färber, Bleicher, Schneider, Gerber, Schuhmacher, Drechsler, Schlosser, Wagner und Schäffler errichteten profitable Gewerbe. Aber Landsbergs Reichtum und Wirtschaftswachstum im Mittelalter resultierte vor allem aus der Salzstraße, dem Lech und der Trasse von Augsburg nach Italien. An Landsberg als Zollstelle und Handelsplatz kam man zumindest im Mittelalter kaum vorbei. Zusätzlich wuchs die Bevölkerung, zumal umliegende Orte - darunter Sandau - bei Feldzügen zerstört wurden und die dortigen Einwohner nach Landsberg umsiedelten.

Zwischen 1415 und 1434 baute die Stadt daher eine neue Stadtbefestigung, die nun das vergrößerte Stadtgebiet umschloss. Das Bayertor, das Sandauer Tor, der Pulverturm und der Dachlturm sind davon noch heute erhalten. 1458 begann der Neubau der Stadtpfarrkirche. Gegen Ende dieses 15. Jahrhunderts erlebte Landsberg die Zeit seiner größten Blüte und gehörte zu den wohlhabendsten und wichtigsten Städten Bayerns. Damals hieß es: Wer sich in Landsberg niederlässt, "fällt in die Silbergrueb".

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Landsberg am Lech ging es im Mittelalter gut; die Stadt gehörte mit Rosenheim zu den begehrtesten Wohnsitzen Bayerns. Das blieb auch im frühen 16. Jahrhundert so. Als Händler, Fuhrleute und Reisende die Lehren der Reformation in die Stadt brachten, erstickte Herzog Wilhelm IV. die aufkeimende Sympathie durch harte Strafen. Die Folge war, dass sich zwar kein Landsberger offen zu Martin Luther bekannte; aber der Besuch des Gottesdienstes ging deutlich zurück und die Unterstützung der Stadt für die Kirche bröckelte. Stadtpfarrer Magnus Haldenberger beklagte in einem Brief, der Stadtrat habe das Geld für gestiftete Messen für die Reparatur des Lechwehrs verwendet. Offenbar sähen es die politisch Herrschenden gerne, wenn Gottesdient und Messen "zugrund gingen".

Nach dem Augsburger Religionsfrieden im Jahr 1555 wanderten viele evangelische Gläubige aus Landsberg aus. Dennoch begann die Rekatholisierung der Stadt. Wichtigste Maßnahme war die Ansiedlung des Jesuitenordens auf dem "Berg des heiligen Kreuzes". Dazu wurde eine Wasserleitung gelegt, was auch Voraussetzung für die weitere Besiedlung der Anhöhe war - unter anderem durch die Brauerei Süßbräu. Den Plan für Kloster und Kirche entwarf Johann Holl, Vater des berühmten Augsburger Architekten Elias Holl. 1578 war das Kloster fertig, 1584 wurde die Heilig-Kreuz-Kirche geweiht. Die Jesuiten blieben 195 Jahre lang in Landsberg, leiteten Schulen, gründeten Bruderschaften und riefen die gemeinnützige, aber auch pietistische Bürgerkongregation "Mariae Himmelfahrt" ins Leben.

Doch so segensreich das Wirken der Jesuiten heute auch wirken mag: Zu jener Zeit waren die Landsberger von der neuen geistigen Führung und Fürsorge wenig beeindruckt. 1613 wurde von der herzoglichen Inquisition festgestellt, dass Landsberger Bürger protestantische Gottesdienste in Emmenhausen besuchten. Außerdem sangen Memminger Salzhändler in einem Landsberger Gasthaus lutherische Psalmen. Ein Bürger habe sogar geäußert, er wolle lieber durch den Teufel als durch die Patres der Jesuiten selig werden. Auch in Zeiten von Reformation und Gegenreformation waren Landsberger Bürger also nicht so leicht zu lenken. Das, so scheint es zuweilen, ist bis heute so.

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Nach langer Blütezeit drehte sich nun der Wind in Landsberg. Die Abwanderung der Anhänger der Reformation, mehrere Wellen der Pest und das zwischen 1594 und 1604 durch Verstaatlichung verlorene Salzhandelsrecht stürzten Landsberg am Lech in eine schwere Krise. 1627 begannen die schrecklichsten Jahre der Stadtgeschichte. Wirtschaftskrise, Inflation sowie Hunger und Armut hatten zu geschwächter Widerstandskraft gegen die Pest geführt. Gleichzeitig wurde Landsberg zum Schauplatz des Dreißigjährigen Krieges.

Ab November 1631 wechselten sich Besatzungen, Truppendurchzüge, Belagerungen und Eroberungen ab. Die Bürger kamen aus ihrer Opferrolle nicht mehr heraus. Erst erpressten die Schweden von der Stadt 8.000 Taler. Dann lockten kaiserliche Truppen reiche Landsberger in einen Hinterhalt und beraubten sie. Danach drangen wieder plündernde Schweden ein. Nach schweren Gefechten mit erneut anrückenden Kämpfern des Kaisers zogen sie zwar ab; im Oktober 1632 kamen sie aber wieder und plünderten mittels Raub, Mord, Brandstiftung und Folter so heftig wie nie zuvor. Ende 1632 waren wieder die kaiserlichen Truppen am Zug, dann schossen die Schweden mit Kanonenkugeln, von denen noch heute eine in der Hubert-von-Herkomer-Straße zu sehen ist. Im April 1633 erstürmten die Schweden die Stadt und richteten ein Massaker an, im September wurde - wiederum mit heftigster Gewaltausübung gegen die Bürger der Stadt - die Beute abtransportiert.

Schätzungsweise drei Viertel der Bevölkerung sind in diesen Jahren ums Leben gekommen. Jetzt gab es nur noch 1.000 bis 1.500 Landsberger. Viele junge Frauen brachten sich wegen bevorstehender Vergewaltigungen durch Stürze aus den oberen Stockwerken der Bürgerhäuser auf den Hauptplatz um. Später wurde behauptet, sie seien vom "Jungfernsprung" genannten Turm in den Lech gestürzt, was physikalisch und historisch nicht stimmen kann. 1635 brach dann auch noch das Lechwehr. Drei Jahre lang gab es keine Flößerei, der Mühlbach war leer, die Mühlen standen still, das Mehl wurde knapp, Handwerker mussten ihre Betriebe einstellen, die Stadt wurde überschwemmt. Das waren wahrlich tragische Jahre für Landsberg.

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Ab 1660 schöpften die Landsberger wieder Hoffnung. Sie bepflanzten die Gräben vor der Stadtmauer mit Weinstöcken aus Tirol. Bürgerhäuser wurden umgebaut und im neuen Barockstil ausgestattet. Stuckdecken, Schweifgiebel, Erker, Fresken, Hausfiguren, Schlösser und Beschläge - die Stadt atmete sichtbar auf. 1698 riss die Verwaltung das mitten auf dem Hauptplatz stehende Rathaus ab, 1701 entstand an gleicher Stelle der neue Marktbrunnen, den seit 1739 die noch heute vorhandene Marienfigur ziert. Das Haus des staatlichen Salzbeamten wurde zum Neuen Rathaus; die 1719 stuckierte Fassade war eines der Hauptwerke des Neu-Landsbergers Dominikus Zimmermann.

1704 wurde Landsberg von österreichischen Truppen besetzt, weil Bayern im Spanischen Erbfolgekrieg im Bündnis mit Frankreich gegen Österreich kämpfte. Die Stadt musste Geld, Lebensmittel und Pferdefutter abliefern. Um aufkeimende Konflikte zwischen Bürgerschaft und Besatzungsmacht einzudämmen, baute sie die stillgelegte Obere Färberei am Rossmarkt mit finanzieller Beteiligung der Österreicher zur Kaserne um. Die ungeliebten Gäste blieben zehn Jahre lang.

1715 setzte sich Johann Jakob Hailberger, Besitzer des Gasthofs zum Mohren und 40 Jahre lang Bürgermeister Landsbergs, für die Errichtung einer Mädchenschule ein. Dabei musste er erhebliche Widerstände überwinden. In einem langen Brief an die Mitglieder des Stadtrats argumentierte er, die Schule schütze ärmere Töchter vor verderblichem Lebenswandel und dem Zwang, betteln zu gehen. "Statt in Müßiggang, Unwissenheit und ungeschickter Tölpelhaftigkeit aufzuwachsen, auf den Gassen und unter dem Hausgesinde Laster zu erlernen und sich Grobheiten anzugewöhnen" würden sie nun "christliche und nützlichste Unterweisungen" erhalten. 1719 bezogen die ersten fünf Schwestern des Ursulinenordens Quartier in der Hubert-von-Herkomer-Straße und begannen sofort mit dem Unterricht.

1740 ordnete der eigenwillige Benefiziat der alten Johanniskirche, Simon Mayr, unter Behauptung von Baufälligkeit den Abbruch des Gotteshauses an; um Erlaubnis der Kirchenoberen hatte er nicht nachgesucht. Aber Mayr hatte schon eine große Summe für den Neubau gesammelt, so dass man ihn nach einjährigem Abrissstopp gewähren ließ. Der Bau verzögerte sich kriegsbedingt um zehn Jahre; erst 1754 wurde die neue Kirche eingeweiht. Architekt Dominikus Zimmermann vollbrachte dabei ein Meisterwerk; er schuf auf rechteckigem Grund einen ovalen Raum ähnlich dem der Wieskirche.

Erneut war Krieg; diesmal ging es um die österreichische Erbfolge. Am 24. Januar 1742 beschlossen die Landsberger in einer Bürgerversammlung, die Stadt "bis auf den letzten Blutstropfen" zu verteidigen. Es war der Tag des Jesuitenheiligen Franz Xaver, der so zum Stadtpatron wurde. Der Zufall wollte, dass eine bayerische Einheit in Landsberg stationiert wurde; so konnte man tatsächlich die erbitterten Versuche des österreichischen Husarenoberst Menzel zur Einnahme der Stadt abwehren. Später drohte Menzel noch einmal, er wolle Landsberg "in ein pures Nichts" verwandeln, griff aber nicht mehr an. Doch 1743 bis 1744 war eine erneute Besatzung durch Truppen Österreichs nicht zu vermeiden.

Bevor der Salzhandel verstaatlicht wurde, war Landsberg "eine Silbergrueb" gewesen; nun, 1745, hielt dieses einträgliche Geschäft erneut in der Stadt Einzug. 23 Handwerker, Händler, Brauer und Müller bewarben sich als Landsberger Salzkommunität um den Zuschlag für den Salzhandel nach Schwaben. Dabei setzten sie sich zwar gegen die Memminger Salzkompanie durch, doch waren sie nicht liquide genug, um die geforderten 100.000 Gulden Vorschuss zu bezahlen. Deswegen kauften sich die Memminger in den Vertrag ein; den Landsbergern blieb nur eine Gewinnbeteiligung von 17.000 Gulden. Als sich die Landsberger Kaufleute nach Ablauf des ersten Kontrakts erneut um das Handelsrecht bewarben - wiederum unter Zahlung von "Verehrungen" an die entscheidenden Beamten - obsiegte Memmingen. Zwar profitierte Landsberg weiterhin vom Salzhandel durch Salz- und Pflasterzölle, die Einnahmen von Fuhrleuten und Arbeitsplätze in den Salzstadeln, doch hohe Schulden machten die Stadt fast handlungsunfähig.

Am gleichen Tag wie die Johanniskirche wurde die neuen Heilig-Kreuz-Kirche eingeweiht. Ihre ursprüngliche Bestimmung als Ordenskirche sollte sie freilich nur 20 Jahre lang behalten, denn 1773 hob Papst Clemens XIV den Jesuitenorden auf. Im geistlichen und geistigen Leben der Stadt hinterließen die Jesuiten eine große Lücke. "Die Tugend, die Wissenschaft und die löbliche Lebensart der Patres und der Nutzen ihrer für das hiesige Publicum so sorg- wie mühsamst verwendeten Arbeit" waren unersetzlich - so sah es auch der Rat der Stadt. Der geistige Horizont Landsbergs verengte sich.

Zusätzlich schufen die Franzosenkriege neues Chaos. 1796 besetzten die französischen Revolutionstruppen im ersten Koalitionskrieg Landsberg; sie forderten "Bier, Wein und bestes Essen". Im Jahr 1800, im zweiten Koalitionskrieg, umlagerten erneut französische Truppen die Stadt und ließen sich mit Brot, Bier, Schnaps, Wein und Ochsen versorgen. Über die Hälfte der Landsberger Bürger büßte ihre ganze Habe ein. Im dritten Koalitionskrieg waren erst die Österreicher die Besatzer, dann wieder die Franzosen. Dabei kamen die Herrschenden sogar persönlich vorbei, zunächst Kaiser Franz II., dann - mündlicher Überlieferung zufolge - auch Napoleon. Immerhin.

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Eigentlich war Landsberg immer Grenzstadt gewiesen. Nun, Anfang des 19. Jahrhunderts, kam Schwaben zu Bayern und die Stadt am Lech lag plötzlich mitten im Staatsgebiet. Damit fielen die Zolleinnahmen weg und auch die Soldaten rückten ab. Landsberg war ohnehin durch die Franzosenkriege verarmt. Die Wohlhabenden wurden weniger, die Armen mehr. Der Verlust des Jesuitenkollegs und die Säkularisierung von Malteserorden und Ursulinenkloster brachte auch wirtschaftliche Einbußen für die Landsberger Handwerker.

1816 wurde Europa aufgrund des Ausbruchs des Vulkans Tambora in Indonesien zunächst von extrem schlechtem Wetter und als Folge von der schlimmsten Hungersnot im ganzen Jahrhundert heimgesucht. Das traf auch Landsberg hart. Die Stadt hatte damals knapp 3.000 Bewohner. Weitere Rückschläge kamen hinzu: Der Salzstadel wurde in ein Getreidedepot umgebaut, das Salzamt wurde abgezogen und die 1853 fertig gestellte Eisenbahnlinie von München über Augsburg nach Lindau verringerte die Rolle Landsbergs beim Getreidehandel. Die Situation der Stadt war desolat.

Kulturell gab es in dieser Zeit Fortschritte. Die Stadt bemühte sich zwar vergebens um die Wiedereinrichtung des Jesuitenkollegs. Erfolg hatte sie aber bei der Gewinnung eines Frauenordens für die Mädchenbildung. Stadtpfarrer Kopp und Bürgermeister Kloo holten die Augsburger Dominikanerinnen nach Landsberg. Sie bezogen 1845 das ehemalige Kloster der Ursulinen. Der Konvent der Dominikanerinnen ist bis heute in der Stadt aktiv. 1985 zog er aus der heutigen Musikschule in das jetzige Gebäude an der Münchener Straße.

Nach wie vor hatte die Stadt selbst kaum Geld, erst recht nicht für Neubauten. In dieser Zeit wurde zwar vieles abgerissen, unter anderem das Schloss, das Lechtor, das Schweizertor am Ende der Salzgasse und der Löbenturm. Auch verfielen die Stadtmauern; die Ziegel der Mauern und die Balken und Dielen der Wehrgänge wurden von den Stadtbewohnern als Baumaterial verwendet. Gleichzeitig aber mussten die Stadtväter manche Renovierung und Umgestaltung aus wirtschaftlichen Gründen "auf Eis legen". Und das war gut so, denn so blieben viele Gebäude erhalten und wurden nicht nach dem Geschmack der Zeit verändert. Hinzu kam, dass sich nun in Bayern ein Bewusstsein für den Denkmalschutz entwickelte. So blieb der Schmalzturm ausdrücklich als ein "Denkmal der Vorzeit" erhalten.

Reisende, die im 19. Jahrhundert Landsberg besuchten, beschrieben die Stadt daher auch als malerischen Ort mit vielen Kirchen, Toren und Türmen, "wo häufig die Glocken läuten". Der frühere Reichtum sei an den Gebäuden noch abzulesen. Landsberg war und blieb "eine Perle unter den malerischen Städten". Und das ist bis heute so.

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1864 wohnten fast alle Landsberger noch in den mittelalterlichen Stadtmauern. Die Stadtverwaltung war schlank, die Ausgaben waren überschaubar, die Stadtkasse war mässig gefüllt. Die Stadtväter setzten auf Wachstum und bemühten sich, nachdem die Kaserne am Rossmarkt seit 1820 leer stand, aktiv um die Ansiedlung von Soldaten. 1863 zog zunächst das 7. Jägerbataillon in Landsberg ein. Rund um die Jahrhundertwende kamen dann die Kasernenbauten südlich der Katharinenstraße hinzu. Anfang des 20.Jahrhunderts waren 500 Soldaten in der Stadt stationiert.

Auch Infrastrukturpolitik stand auf der Tagesordnung. Mit Unterstützung des liberalen Landtagsabgeordneten Otto von Kühlmann bemühte sich insbesondere der 1863 bestellte Bürgermeister Johann Georg Arnold, der 26 Jahre lang amtierte, um die Anbindung Landsbergs an das Eisenbahnnetz. Doch letztlich fiel die Entscheidung für die noch heute bestehende Streckenführung über Kaufering. Landsberg blieb die "Vizinalbahn" - da half auch das Klagen nicht, der Stadt drohe ohne Fernstreckenanschluss der "gänzliche Ruin". Dennoch brachte der 1872 in Dienst gestellte Bahnhof der Stadt große Vorteile, weil er Motor für die Ansiedlung von Industriebetrieben war. An der Stelle der 1882 abgebrannten Oberen Papiermühle errichtete der Schlosser Adolf Buck 1883 eine Werkstätte zur Herstellung von Ackergeräten, die ab 1891 unter dem Namen "Oberbayerische Pflugfabrik" zum größten Arbeitgeber der Stadt und des Landkreises werden sollte. In dieser Zeit entstanden auch die villenartigen Gebäude in der Von-Kühlmann-Straße.

In den Jahren von 1848 bis 1914 wurden die Landsberger Bürger zunehmend politischer. In der ältesten Lokalzeitung Oberbayerns, dem Landsberger Wochenblatt, erschienen ab 1848 erstmals Artikel mit politischen Themen. Dort fanden sich vor allem kritischen Beiträge über den Vertreter des Staates in Landsberg, Landrichter Wolfgang Eduard Schöninger, der ein strenges Regiment führte und vom Magistrat der Stadt sogar verlangte, die Gespräche der Bürger in den Gasthäusern überwachen zu lassen; 1848 wurde er samt Familie aus der Stadt gejagt. Zunehmend bildeten sich auch politische Vereine, unter anderem der "Constitutionell-Monarchistische Verein Landsbergs". 1850 wandte er sich gegen die beabsichtigte rechtliche Gleichstellung der jüdischen Mitbürger. Die Juden seien doch nur "geduldet", argumentierten die Vereinsmitglieder, sie hätten keine Verdienste um den Staat, ihre Konkurrenz schade der Wirtschaft der Einheimischen. Bayern werde durch das beabsichtigte Gesetz, das 1850 tatsächlich scheiterte, "entchristlicht". Die Landsberger Petition ist freilich kein Einzelfall; in allen deutschen Staaten und vielen bayerischen Gemeinden gab es eine ähnliche Haltung.

In die Amtszeit von Johann Georg Arnold fiel auch der Bau des Mutterturms durch Hubert von Herkomer. Er war 1849 in Waal geboren worden; seine Eltern siedelten allerdings bald nach New York, Cleveland und später Southhampton um. Aber Herkomer hielt die Beziehungen zu seinem Geburtsland Bayern durch Reisen und längere Aufenthalte aufrecht. Als seine Mutter 1879 in Landsberg starb, fasste er den Plan, neben dem Wohnhaus am Lech einen Atelierturm zu errichten und ihn "Mutterturm" zu nennen. Herkomer wurde 1893 Ehrenbürger der Stadt. Die Verbindung zu seinem britschen Heimatort Bushey besteht noch heute.

1864 hatte Landsberg 3.466 Einwohner, 100 Handwerksbetriebe, 21 Gasthäuser und 35 Einzelhändler. 1911 hatte sich die Einwohnerzahl verdoppelt, die Zahl der Gewerbetriebe war deutlich gewachsen; nun gab es in der Stadt Fabriken und sogar zwei Privatbanken. Doch das Glück sollte nicht von Dauer sein: Der erste Weltkrieg brach aus.

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Die anfängliche Begeisterung über den Ausbruch des ersten Weltkriegs verflog bald. Familien beklagten gefallene Väter und Söhne. Im Westen, wo auch die Soldaten des Landsberger Regiments kämpften, entwickelte sich ein endloser Stellungskrieg ohne Siege. Die Versorgungslage in der Stadt verschlechterte sich von Jahr zu Jahr. In der Reithalle der Kaserne entstand ein Lager für 1.000 französische Kriegsgefangene. Auch die Nachkriegsjahre waren schwierig; die Nahrungsmittel waren knapp und rationiert. Die Stadt bemühte sich, Bedürftige mit verbilligten Lebensmitteln zu versorgen. Weil viele Berufssoldaten der Garnison und Beamte der Gefangenenanstalt Wohnungen benötigten, gab es große Wohnungsnot. Die Stadt ließ viele Wohnungen, während der Weltwirtschaftskrise sogar Notunterkünfte bauen.

In der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reichs stand Landsberg in besonderem Maße im Fokus der Geschichte. Im Juni 1923 entstand in der Stadt auf Betreiben rechtsgerichteter "Vaterländischer Verbände" das Denkmal für den kurz zuvor hingerichteten Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter. In der NS-Zeit fanden dort später Feierstunden der Hitlerjugend statt. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg trafen sich dort Rechtsradikale zu Veranstaltungen. Im April 1924 wurde Adolf Hitler in das Landsberger Gefängnis eingeliefert. In seiner neunmonatigen "Festungshaft", einer Inhaftierung mit erleichterten Bedingungen, erhielt Hitler 500 Besuche und schrieb den ersten Band von "Mein Kampf". Später wurde die Hitler-Zelle zu einem Kultort der Nationalsozialisten. Während des nationalsozialistischen Regimes wurde Landsberg zur "Heimstätte der deutschen Jugend" erklärt. 1937 und 1938 war die Stadt Ziel des jeweils sechstägigen "Adolf-Hitler-Marschs". Die 1.500 "Führer der Hitlerjugend", die an ihm teilnahmen, wurden in Landsberg begeistert begrüßt.

Es lässt sich nicht behaupten, dass die damals rund 9.000 Landsberger Einwohner in stärkerem Maße Anhänger der NSDAP waren als Einwohner anderer Städte. Bis 1933 waren die Nationalsozialisten nicht im Stadtrat vertreten; bei den drei Reichstagswahlen in den Jahren 1930 und 1932 erzielten sie in Landsberg leicht unterdurchschnittliche Ergebnisse. Aber als die Nationalsozialisten mit ihren Aktionen gegen jüdische Geschäfte begannen, sprangen Einzelhändler sofort auf den Zug auf und gründeten 1933 den "Schutzbund für Handel und Gewerbe in Landsberg". Sie forderten die Landsberger in Anzeigen dazu auf, nicht in jüdischen Geschäften zu kaufen. Diese Boykottaufrufe und die Umsetzung der Nürnberger Gesetze führten dazu, dass alle jüdischen Geschäftsinhaber ihre Betriebe bis Ende 1938 verkauften oder einstellten und die Stadt verließen.

Die gesamte Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft war von Baumaßnahmen geprägt, die zu einem großen Teil der Arbeitsbeschaffung und zunehmend auch der Rüstung dienten. Auf den Großbaustellen waren neben einheimischen viele ausländische Arbeitskräfte beschäftigt. Die meisten waren Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten im Osten. In der Pflugfabrik war die Mehrzahl der Arbeiter Ausländer, für die man bei der Fabrik Lager errichten ließ. Auch Handwerkern, landwirtschaftlichen Betrieben und sogar Privathaushalten wurden ausländische Kräfte zugewiesen; sie wohnten teilweise bei ihren Arbeitgebern. Große Projekte waren der Bau einer Nitrozellulosefabrik im Frauenwald von 1939 bis 1942 sowie ab 1944 die Errichtung der Bunkerfabriken, in denen Kampfflugzeuge hergestellt werden sollten. Die Stadt stellte dafür Massenquartiere und Wohnungen zur Verfügung. Auf den Baustellen wurden überwiegend Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und später auch jüdische KZ-Häftlinge eingesetzt.

Damit begann eine weitere schreckliche Epoche in der Stadtgeschichte. Ende 1944 wurden im Deutschen Reich 500.000 Häftlinge aus den Konzentrationslagern in die "Außenlager" in der Nähe von Rüstungsbetrieben transportiert; viele starben bereits auf dem Weg oder wurden Opfer der unmenschlichen Unterbringung. In und um Landsberg entstanden elf solcher Lager. Aufgrund des Bahnhofs Kaufering erhielten sie die Namen Kaufering I bis Kaufering XI, obwohl die meisten auf Landsberger Gebiet standen. In diesen Lagern kamen neueren Schätzungen zufolge 8.500 Häftlinge ums Leben. Ihre Behandlung war durch die Absicht bestimmt, ihre Arbeitkraft rücksichtslos auszunutzen und sie dadurch zu töten. Der Tod war also nicht einfach eine Folge der menschenverachtenden Verhältnisse in den Lagern und auf den Baustellen; er wurde nicht nur hingenommen, sondern war gewollt. Ende April 1944, als sich die US-Armee Landsberg näherte, trieb die SS verbliebene Häftlinge in Todesmärschen in Richtung Dachau.

Was wussten die Landsberger davon? Über die Großbaustellen und die Außenlager, von denen aus die Häftlinge teilweise zu Fuß zu den Baustellen gehen mussten, waren die Partei- und Kommunalinstanzen informiert und auch vielen Bewohnern der Umgebung blieben sie durch zufällige Begegnungen, etwa am Bahnhof Kaufering, nicht verborgen. Einige überlieferte Beispiele für Hilfe für die Häftlinge sind weitere Beweise dafür, dass die grauenhafte Ausbeutung und Vernichtung unschuldiger Menschen wahrgenommen wurde. Am Ende des Krieges fanden die US-Truppen die Toten und die Überlebenden in den Lagern. Die Fotografien und Filme, die gemacht wurden, gehören zu den bewegendsten Dokumenten der an den Juden verübten Gräueltaten. Als die Amerikaner Landsberger in die Lager führten und diese die Toten exhumieren, einsammeln und bestatten mussten, wurden für alle die entsetzlichen Folgen des von vielen unterstützten oder hingenommenen Antisemitismus sichtbar.

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467 Landsberger starben im Zweiten Weltkrieg; bereits dies ist eine schreckliche Bilanz der Herrschaft der Nationalsozialisten. Aber dass 8.500 Häftlinge in den "Kauferinger" (vor allem Landsberger) KZ-Außenlagern ums Leben kamen, hat unvergessbare Schande über die Stadt gebracht.

Landsberg und seine Bürger taten sich in der Nachkriegszeit schwer, auf die besondere Rolle Landsbergs - Ort von Hitlers Festungshaft, Stadt der Hitler-Jugend, Ziel der Hitler-Märsche, Einsatzort vieler Zwangsarbeiter, Außenlager des KZ Dachau - angemessen zu reagieren. Drei Jahre nach dem Krieg, in einer Zeit des Hungers, der Geldentwertung, des Schwarzmarkts und der Wohnungsnot, wählten die Landsberger sogar um ein Haar den Bürgermeister der NS-Zeit, Dr. Karl Linn, erneut zu ihrem Stadtoberhaupt.

Viele Landsberger korrigierten ihre hinnehmende, selbstschützende Haltung auch nach Kriegsende nicht. Das wird auch bei den Themen "Displaced Persons" und "War Criminal Prison" deutlich. Zwischen 1945 und 1950 war Landsberg Zwischenstation für so genannte "Displaces Persons", Juden, die die Vernichtungspolitik überlebt hatten, und Zwangsarbeiter, die aus dem Osten gekommen waren. Das Lager in der Saarburgkaserne, in dem zeitgleich bis zu 6.000 und insgesamt 23.000 Personen lebten, wurde von den Amerikanern versorgt. Die Lebensverhältnisse waren beengt, die hygienischen Bedingungen katastrophal. Die Insassen richteten bald eine Selbstverwaltung ein, organisierten berufsbildende Kurse und kümmerten sich um sportliche und kulturelle Betätigungsmöglichkeiten. Die Displaced Persons wurden von den Landsbergern nach Angaben von Angelika Eder (Flüchtige Heimat: Jüdische Displaced Persons in Landsberg am Lech 1945 bis 1950) als bedrohliche "Ausländer" betrachtet, nicht als Überlebende der Konzentrationslager oder als verfolgte Juden. Zwischen den Landsbergern und den DP's gab es viele Konflikte. Die Gründung von Betrieben und Läden wurde nur restriktiv genehmigt; erneut wollte die Stadt ihre Handwerker und Händler vor Wettbewerb schützen. Im April 1946 griffen mehrere Displaced Persons aufgrund eines falschen Gerüchts Landsberger Bürger an; es gab 22 Verletzte. Die amerikanische Militärpolizei verhängte Gefängnisstrafen.

Nach Kriegsende nutzten die Amerikaner das Landsberger Gefängnis als zentrales Kriegsverbrechergefängnis für die US-Zone. Es trug die Bezeichnung "War Criminal Prison". Die Inhaftierten waren Verurteilte der "Nürnberger Nachfolgeprozesse" und der "Dachauer Prozesse" mit den Urteilen Todesstrafe oder Haft. 1.659 Personen waren im War Criminal Prison nach und nach inhaftiert, bis zu 900 gleichzeitig. Von 1945 bis 1951 fanden im Gefängnis insgesamt 285 Exekutionen statt. Die Exekutionen als solche (in einem Land, das die Todesstrafe abgeschafft hatte), die oft lange Zeit zwischen Urteil und Hinrichtung, Zweifel an der Gerechtigkeit der Gerichtsverfahren und Zweifel an Zeugen führten - auch aus der Landsberger Bevölkerung heraus - zu vielen Protesten gegen die Hinrichtungen, zu Bitten um Begnadigung bis hin zur Solidarisierung mit den Verurteílten. Thomas Raithel schreibt in seinem Beitrag "Das Landsberger Gefängnis vor und nach 1945" im Buch "Landsberg in der Zeitgeschichte - Zeitgeschichte in Landsberg" dazu, diese Haltung sei auf den beschränkten Kenntnisstand der Bevölkerung über die Verbrechen der NS-Zeit und ein "hohes Maß an fortbestehender nationaler Identifikation" zurückzuführen. Im November 1950 appellierte der Landsberger Stadtrat an die Amerikaner, den Inhaftierten das Leben zu schenken. Am 7. Januar 1951 protestierten fast 4.000 Landsberger gegen die Todesurteile. Als 300 Displaced Persons eine Gegendemonstration veranstalten, kam es zu Tumulten und zu Ausrufen "Juden raus!"

Ab 1944 wurden die im Gefängnis verstorbenen Häftlinge auf dem Friedhof bei der Spöttinger Kirche bestattet. Ihre Namen wurden an den Kreuzen über den Gräbern vermerkt. Nachdem dies später immer wieder dazu führte, dass rechtsradikale Gruppierungen dort Kränze niederlegten, entfernte man nach langer Diskussion die Namen, behielt die Kreuze als Denkmal der Zeitgeschichte aber bei.

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In den fünfzig Jahren von 1960 bis 2010 veränderte sich Landsberg stärker als in den vielen Jahrhunderten zuvor. Die Bevölkerung wuchs von 15.000 auf über 28.000 Einwohner. Die Verkehrs-Infrastruktur wurde verbessert; die B12 mutierte zur Autobahn A96 mit Nordumgehung, die B17 zur Schnellstraße mit Westumgehung, die viel befahrene Ludwigstraße zum Fußgängerbereich, die Tiefgaragen im Schlossberg und an der Lechstraße wurden gebaut, der "Bürgerbahnhof" entstand.  Das Landratsamt zog 1962 in die von-Kühlmann-Straße, die Stadt legte 1965 den Waldfriedhof an, die Kirche "Zu den Heiligen Engeln" wurde 1966 gebaut. Das Krankenhaus an der Lechstraße wurde zum Altenheim; der Krankenhaus-Neubau ging 1970 in Betrieb. Viele Schulbauten entstanden, das Theater wurde umgebaut, das Stadtmuseum geschaffen. Das alte historischen Rathaus bekam einen modernen Sitzungssaal.

Nach der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955 war Landsberg wieder Garnisonsstadt geworden. Zunächst entstand die Generalfeldmarschall-Ritter-von-Leeb-, dann die Lechrainkaserne. Die bereits vorhandene Saarburgkaserne, in der die Displaced Persons untergebracht waren, wurde von einem Flugkörpergeschwader genutzt. Dessen Aufgabe wäre im Ernstfall der Einsatz von atomaren Mittelstreckenraketen gewesen, womit Landsberg zu einem strategisch wichtigen Ziel potentieller Gegner wurde. Insgesamt waren 6.000 Soldaten in Landsberg stationiert; hinzu kamen 1.700 Zivilangestellte. Die Bundeswehr war mit Abstand der größte Arbeitgeber und wichtigste Wirtschaftsfaktor in der Stadt. Als der "Kalte Krieg" zu Ende ging, wurden viele Einheiten aufgelöst. Kasernengebäude und ganze Areale wie der Frauenwald wurden für eine neue Nutzung frei.

Doch die Ansiedlungen von Industrieunternehmen waren in Landsberg umstritten. Im Oktober 1973 beschloss der Stadtrat, ein Grundstück für ein Zweigwerk des amerikanischen Pharma-Konzerns Eli Lilly (sprich: Elai Lilly) zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Emissionen und des hohen Flächenbedarfs kam es zu einer nie dagewesenen Mobilierung der Bevölkerung und zu zahlreichen Klagen. Das Unternehmen verzichtete schließlich auf die Ansiedlung. Auch der Plan, das Lechwehr zu einem Kraftwerk umzurüsten, scheiterte am Widerstand der Bürger. Weiteres umstrittenes Projekt war die Nutzung des Frauenwalds für Industriebetriebe, insbesondere für das Sägewerk Klausner, das heute in russischem Eigentum steht. Zu vielen Themen gab es  Bürgerentscheide, zuletzt zum Hauptplatz, zum Fachmarktzentrum und zur Holzbrücke über den Lech auf Höhe des Mutterturms.

Vier Oberbürgermeister regierten Landsberg von 1958 bis 2012: Dr. Rudolf Engshuber (ab 1958, 12 Jahre), Hanns Hamberger (ab 1970, 18 Jahre), Franz Xaver Rößle (ab 1988, 12 Jahre) und Ingo Lehmann (ab 2000, 12 Jahre). Keiner von ihnen bekam alles durch, was er wollte - dafür waren die Landsberger zu selbstbewusst, zuweilen auch störrisch. Letztlich aber versöhnten sich Bürger und Rat immer wieder von Neuem, auf der Basis der Erkenntnis, dass diese Stadt in besonderem Maße lebenswert ist. Man kann stolz auf sie sein.

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