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Stockblind hinterher

Mittwoch, 03.06.2020

CSU 48, Grüne 19, SPD 9, Freie Wähler 8 - das sind die aktuellen Zahlen im Bayern-Trend des Bayerischen Rundfunks. Wäre morgen Landtagswahl, würden diese vier Parteien zusammen 84 Prozent der Stimmen erhalten. Es sind diejenigen politischen Gruppierungen, die den Corona-Kurs in Bund und Freistaat unterstützen. Andere Parteien stellen die Maßnahmen in Frage und treten populistisch auf. Von ihnen erreicht nur eine, die AfD, die Fünf-Prozent-Hürde, die anderen fallen raus.

Auch in Landsberg streben zwei Gruppierungen an den Rand des politischen Spektrums. Da ist zum einen die FDP. Stadtrat Tom Bohn verkündet bei Twitter unter dem Namen @realTomBohn, "der Lockdown in Deutschland" sei viel zu heftig gewesen und er hätte viel zu lange gedauert. Dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach wirft er "anhaltende Panikmache" vor. Bei Ministerpräsident Markus Söder beklagt er sich, es gebe zurzeit im Landkreis Landsberg "nur 20 Infizierte, aber null Kulturveranstaltungen". Und der Allgemeinheit teilt er mit: "Nicht die Masken sind das Problem, sondern die von der Angst befeuerte Obrigkeitshörigkeit unserer Gesellschaft ... Ich habe mich immer gefragt, wie eine Kulturnation so stockblind einem Führer hinterherlaufen konnte. Seit zwei Monaten beschleicht mich da so eine Ahnung." - Wir verstehen Bohn so: Die Obrigkeit schränkt unser Leben aufgrund des Coronavirus ungerechtfertigt ein, und wir laufen ihr stockblind wie im Dritten Reich hinterher. Das haben wir schon mal gehört, auf Demos von Wutbürgern und Verschwörungstheoretikern.

Ebenso zentrifugal in Richtung Außenposition bewegt sich der Kreisverband Landsberg der ÖDP. In einer Mitteilung kritisiert er die gerichtlich bestätigte Untersagung der geplanten Groß-Demo auf der Waitzinger Wiese als "Ausschaltung der Grundrechte". Das sei ein "Lapsus" des Landrats, der kein zweites Mal passieren dürfe. Als dem ÖDP-Kreisverband ein Beitrag der Tageszeitung missfällt, wendet er sich an alle Stadträte: Der Kommentar sei eine "üble Verleumdung", die für die Zeitung Folgen haben werde. Und außerdem: ÖDP-Stadtrat Stefan Meiser, der sich hinter die Entscheidung des Landrats gestellt hatte, sei es verboten, Stellungnahmen gegenüber den Medien ohne Zustimmung des Kreisverbands abzugeben. Beide Parteien sagen übrigens nicht, wieviel Corona-Kranke hinzugekommen wären, wenn man dem Drang der FDP nach Kulturveranstaltungen und dem der ÖDP nach großen Demos Rechnung getragen hätte. Seit Leer, Frankfurt und Göttingen wissen wir: Schon ein einziges Zusammentreffen mit zu wenig Abstand und Schutz kann viele Infektionen auslösen.

Später Anfang, frühes Ende - das sind die eigentlichen Probleme der Corona-Politik. Den Karneval in NRW und das Après-Ski in Ischgl hätte man sich sparen sollen. In China, England, USA und Brasilien stand zunächst der Machterhalt im Vordergrund. Jetzt kann es vielen Bundesländern nicht schnell genug gehen. Dadurch entsteht Übermut - die Deutschen geben sich Entwarnung. Die Kritik von FDP und ÖDP geht daher an den Problemen vorbei. Aber egal: Wir haben nun mehrere Parteien, in denen man seine tiefe Verletzung durch die Corona-Politik zum Ausdruck bringen kann. Je mehr Parteien es werden, desto weniger Bedeutung haben sie. Aus den 84 Prozent Vernunft werden dann 100 Prozent der Sitze. Und das ist gut so.

Quelle: landsbergblog, www.landsbergblog.info. Zurück zum Artikelfeed