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Die einen und die anderen

Mittwoch, 06.05.2020

Wir haben mit Greater London geskyped. Die Freundin näht auf Staatsbitte gerade Hosen für Hospitalärzte; es gibt nicht genug Schutzkleidung. Wir haben Bekannte in Leuven angerufen. Er ist Belgier, sie Deutsche; beide wollen bleiben, trotz höchster Todesfall-Inzidenz in Europa, denn sie würden bei einem Grenzübertritt getrennt. Wir haben E-Mails mit New York ausgetauscht. Fast jeder dritte Bewohner der Bronx ist erkrankt. Die Freunde wohnen in Brooklyn - dort ist die Rate aber nicht wesentlich kleiner. Ob Engländer, Belgier, Amerikaner - alle lobten, wie diszipliniert die Deutschen und besonders die Bayern mit der Corona-Pandemie umgehen.

Nach außen wirkt das wohl immer noch so. In Wirklichkeit teilt sich aber gerade unsere Gesellschaft in die einen und die anderen. Das merkt man auch in Landsberg. Die einen erkennen, dass uns die größte Herausforderung in unserem Leben ereilt hat, ähnlich wie ein Krieg, ein Erdbeben oder ein Tsunami. Es gibt keinen Impfstoff, der vor dem Virus schützt. Es gibt kein Medikament, das die Krankheit heilt. Man kann sich leicht anstecken, auch bei Menschen ohne Symptom. Wir wissen über die Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung so gut wie nichts. Und an Corona zu sterben, ist ein grausamer Tod. Viele verstehen das. Sie befolgen die Abstandsregeln. Sie sehen von Besuchen beim Opa ab. Sie lassen das gemeinsame Grillen sein. Sie würden sich am Ostseestrand auch an die rote Flagge halten - bei Sturm gingen sie nicht ins Meer.

Die anderen gerieren sich hingegen aufreizend indifferent. Rote Flaggen sind für sie offenbar Ansporn zum Widerstand. Studienrätin Sabine T. (Name geändert), eine Lehrerin des Landsberger Dominikus-Zimmermann-Gymnasiums (DZG), schreibt vor einigen Tagen an die Oberbürgermeisterin, es sei "einschüchternd", dass Schüler den Mindestabstand einhalten sollen, nur einzeln auf die Toilette dürfen und Gruppenarbeit verboten ist. Damit werde "der Kern des schulischen Zusammenseins verraten". Sie fordert "eine sofortige Rücknahme der unverhältnismäßigen Katastrophenschutzmaßnahmen".

Unser Glaube an die Vernunft wird nicht nur durch Sabine T. erschüttert. Viele definieren sich aus Nicht-Verbot und Erlaubnis-Analogie zurzeit ihren eigenen Freiraum. Die private Musiklehrerin frohlockt, sie dürfe in ihrer Acht-Quadratmeter-Übungskammer nun wieder Gesang unterrichten. Der Nachbar beugt sich tief in den Kombi der Eierfrau, um Wange an Wange mit ihr Ware auszusuchen. Jogger und Mountainbiker laufen so nah an Wanderern vorbei, dass der Tröpfchenschweif spürbar wird.

Ja, es gibt ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das steht in Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es gibt aber auch ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das steht in Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes. Keines der beiden Rechte hat Vorrang. Jeder darf sich nur so verhalten, dass er andere nicht gefährdet. Viele Menschen vergessen gerade: Die Maskenpflicht ergänzt die bisherigen Regeln nur und ersetzt sie nicht. Die Abstandsregel ist und bleibt in Kraft. Es gibt kein Sonderrecht für Gehwege, Supermarktparkplätze oder die Innenstadt.

So lange die Todesrate noch nicht bei einem Prozent liegt, seien Einschränkungen unzumutbar, ja "dilettantisch", schreibt die Studienrätin. Das heißt nichts anderes als: Lasst Menschen sterben für mehr Komfort. Es ist unfassbar.

Quelle: landsbergblog, www.landsbergblog.info. Zurück zum Artikelfeed