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Eigennutz ist Trumpf

Mittwoch, 08.07.2020

Unternehmer beschäftigen Leiharbeiter, kümmern sich aber zu wenig um ihre Unterbringung. Fleischfabriken praktizieren Methoden, die mit dem Tierwohl unvereinbar sind. Großfirmen gliedern Arbeitnehmer aus, um sie der Tarifbindung zu entziehen. Konzerne verlegen ihren Sitz, um Steuern zu sparen. Arbeitgeber umgehen Mindestlöhne durch Anordnung unbezahlter Überstunden. Banker erzwingen mit Cum-Ex-Geschäften die doppelte Erstattung der Kapitalertragsteuer. Wirtschaftsprüfer testieren Bilanzen auch mal ohne Prüfung der Belege. Zollbeamte scheitern wegen Sprachproblemen beim Kampf gegen Schwarzarbeit. Das sind nur einige der Entwicklungen, die in den vergangenen Wochen Medienthemen waren. Sie haben drei Dinge gemeinsam: Sie stammen nicht aus Ländern, in denen Willkür und Gesetzlosigkeit herrschen, sondern aus Deutschland. Sie sind auf das exzessive Streben nach persönlichem Vorteil zurückzuführen; wo es eine Lücke gibt, wird sie genutzt. Und die Politik weiß bereits lange, was da gespielt wird, hat aber trotz wiederholter Absichtserklärungen nichts dagegen getan.

Etwa zur gleichen Zeit verkündet die Bundeskanzlerin, in der Corona-Krise sei "unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander" gefragt. Markus Söder bittet die Bayern um ein Verhalten mit Verantwortung. Oberbürgermeisterin Doris Baumgartl beendet ihren Bürgerbrief vom 1. Juli mit dem Satz "Bleiben Sie achtsam, solidarisch und gesund". Das ist alles ehrenwert, aber solange der Staat es nicht schafft, Achtsamkeit, Verantwortung und Solidarität auf der großen Bühne herzustellen, ist die Chance dafür auf der kleinen Bühne eher gering. Der Fisch stinkt vom Kopf zuerst. Wir brauchen ein schnelleres und effizienteres staatliches Eingreifen bei den Rücksichtslosigkeiten, die uns da vorgeführt werden. Die Freilose, die die SPD-Regierung unter Gerhard Schröder einst spendiert hat, sollte man dazu wieder einsammeln. Und die Leistungen, die wir jeden Tag von den Polizei- und Ermittlungsbehörden erhoffen, müssen durch angemessene Mittelausstattung und Vergütung gefestigt werden. Das ist auch im Interesse der vielen mittelständischen Unternehmen, die verantwortlich handeln und sozial denken.

Wir sollten uns aber auch nicht scheuen, die alltägliche lokale zwischenmenschliche Rücksichtslosigkeit beim Namen zu nennen. Wie können wir erwarten, dass Menschen in Krisenzeiten solidarisch handeln, wenn sie es im Alltagsleben schon nicht tun? Bürgermeister und Polizei stellen eine wachsende Gewaltbereitschaft fest, registrieren sinnlose Sachbeschädigungen, Dreistigkeit im Verkehr und zunehmende Unfallflucht. Eigennutz ist Trumpf. Wer Uniform oder Berufskleidung trägt, ist besonders gefährdet; Sanitäter, Polizisten, Feuerwehrleute und neuerdings sogar Förster und Waldarbeiter berichten von Beleidigungen und Angriffen. Dass der Ton rauer geworden ist, hat fast jeder von uns schon erlebt. Die sozialen Medien haben dabei wahrscheinlich als Beschleuniger gewirkt. Immer wieder eskalieren Gespräche und Diskussionen, die man als Kritik verstehen kann, und münden in verbalen Überreaktionen. Man könnte glauben, es herrsche Endzeitstimmung. Bei dieser Entwicklung darf man nicht wegschauen. Wir müssen den Exzess beim Namen nennen, im Kleinen wie im Großen. Beide sind gefordert: Die Politik und auch wir selbst.

Quelle: landsbergblog, www.landsbergblog.info. Zurück zum Artikelfeed