Der Mythos Home Office

Mittwoch, 09.06.2021

Gewerkschaften und Arbeitgeber streiten darum, ob das Modell "Home Office" auch künftig, zumindest an einigen Wochentagen, aufrecht erhalten werden soll. Das scheint auf den ersten Blick eine bundesweite wirtschaftspolitische Angelegenheit zu sein. Es ist aber mindestens auch ein kommunales Thema. Denn jeder überfüllte Regionalexpress, jeder zugeparkte Bahnhofsparkplatz und jede stauträchtige Autobahn bringen Probleme mit sich. In den Jahren vor der Corona-Pandemie sind wir immer wieder an die Grenzen der Belastbarkeit gestoßen.

Deswegen ist es gut, dass wir uns noch einmal verdeutlichen: Pendeln hat keinen Wert an sich. Pendeln ist Zeitverschwendung. Pendeln belastet die Umwelt. Pendeln kostet unnötiges Geld. Es gibt Tage, da sitzt ein Arbeitnehmer stundenlang in seinem Büro in der Firmenzentrale vor einem Monitor, ohne einen Besucher zu empfangen oder mit Kollegen zu konferieren. Wo ist da, von Kontrolle abgesehen, der tiefe Sinn? Ähnlich absurd ist oft die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen. Müssen wir wirklich zu Konferenzen und Tagungen, Seminaren und Schulungen umständlich anreisen? Ist es tatsächlich erforderlich, halbe Tage im Flieger oder der Bahn zu sitzen und die Nacht mehr schlecht als recht fernab der Familie im Holiday Inn Express zu verbringen?

Einerseits. Andererseits ist das "Home Office" auch ein Mythos. Der Begriff unterstellt etwas, was es meist gar nicht gibt. Dass Deutschlands Arbeitnehmer über abgegrenzte Arbeitszimmer mit Gigabit-Internetanbindung verfügen. Dass Kleinkinder verstehen, dass Papa oder Mama gerade nicht aus Spaß lustige Videos von sich machen. Und dass die Betriebskantine mühelos durch "Home Cooking" der vom Samstag verbliebenen Rest-Vorräte ersetzt werden kann. Wer das Home Office ohne Differenzierung rühmt, verkennt die Belastungen, die es für die Berufstätigen mit sich bringt.

Aus unserer Sicht braucht es einen Kompromiss. Der könnte darin liegen, dass wir dezentrale Bürozentren errichten, in denen Arbeitsräume, Schreibtische, Telefone, PCs, Drucker, Webcams und breitbandige Internetanschlüsse zur Verfügung stehen und geteilt werden. Solche "Co-Working Spaces" gibt es in Zentren schon lange. Letztlich macht es aber keinen Unterschied, ob ein Arbeitnehmer nach München fährt, um dort einen festen oder einen temporären Arbeitsplatz aufzusuchen. Der Mehrwert liegt darin, die Notwendigkeit des Pendelns zu reduzieren, ihn also gar nicht erst nach München fahren zu lassen.

Treiber dazu sind, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergab, vor allem die Wirtschaftsförderer der Städte und Landkreise. Bisherige Versuche scheiterten oft daran, dass Co-Working Spaces auf die falsche Zielgruppe setzten. Es sind nicht die bislang zumeist angesprochenen Freiberufler, die Bedarf haben. Es sind die Unternehmen, die durch die Dezentralisierung von Arbeitsplätzen im Wettbewerb um Talente attraktivere Arbeitgeber werden. Und die erkennen, dass sie eine bessere Work-Life-Balance herbeiführen können, ohne qualitative Abstriche hinnehmen zu müssen. Der richtige Ansatz ist daher, mit den Personalabteilungen der großen Münchner Unternehmen zu sprechen. Erst der Vertrag, dann die Location. Das könnte eine Erfolgsformel sein.

Quelle: landsbergblog, www.landsbergblog.info. Zurück zum Artikelfeed