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Kein Freibrief für eine Vision

Mittwoch, 23.09.2020

Sind viele Tiefgaragenplätze beim Urbanen Leben am Papierbach (ULP) entbehrlich, weil man dort Car- und Bike-Sharing anbieten wird? Projektentwickler ehret+klein sagt "ja" und möchte vom Stadtrat eine umfangreiche Befreiung von der Stellplatzsatzung. Aber das geht beim besten Willen nicht.

Die Satzung verlangt bei Apartments bis 100 Quadratmetern 1,5 Stellplätze. Das ist bereits knapp bemessen. Denn bei uns ist das Auto besonders dominant. Die meisten Unternehmen, zum Beispiel Rational, Delo, Hirschvogel und 3C Carbon, sind nur mit PKWs erreichbar. Kunden, Freunde und Verwandte wohnen oft an der Peripherie oder auf dem Land. Selbst innerstädtisch gilt: Wer etwas aus dem Getränke-, Bau- oder Drogeriemarkt sowie vom Discounter braucht, nutzt sein Auto.

Die Annahme, dass Bewohner am Papierbach, oft Doppelverdiener mit unterschiedlichen Arbeitsorten, dafür jedes Mal einen Leihwagen oder ein Lastenrad mieten, ist völlig unrealistisch. Car-Sharing ist bis dato ein Misserfolg, ein "unprofitables Nischengeschäft". Das Potential zur Reduzierung privater PKW durch diese neue Nutzungsform liegt selbst in dicht besiedelten Städten nur bei fünf Prozent (A.T. Kearney, 2019). Der Anteil von Car-Sharing am Wegeaufkommen ist bislang "so gut wie nicht sichtbar" (Bundesregierung, Mobilitätsbericht 2019).

Bessere Radwege und ein attraktiveres Bussystem werden zwar viel verändern. Aber selbst da, wo man in Sachen Verkehrsverlagerung hin zu Rad und ÖPNV auf gutem Weg ist, nehmen der PKW-Führerscheinbesitz und die PKW-Verfügbarkeit je Haushalt zunächst weiter zu. Es braucht viele Jahre bis solche Maßnahmen akzeptiert werden. Und wahrscheinlich weitere Jahre, bis auch nur Teile der Bevölkerung bereit sind, das eigene Auto durch Leihwagen zu ersetzen. Was ohnehin nur für kurze Fahrten sinnvoll ist - wer am Zielort verweilt, blockiert das Fahrzeug.

Der Investor geht daher ein Risiko ein, wenn er Parkraum in diesem Umfang reduziert. Was ist, wenn sein Kalkül nicht aufgeht? Wohnungen mit knappen Stellplätzen erzielen geringere Preise. Auch Leerstände könnten die Folge sein. Schon deswegen kann sich der Stadtrat nicht auf diesen Deal einlassen. Zwar winkt eine hohe Ablösesumme; aber sie wäre die Belohnung für ein ungerechtfertigtes ULP-Sonderrecht. Deswegen denkt man im Stadtrat auch eher daran, die Anforderungen an Stellplätze insgesamt zu lockern. Die Folge aber ist mehr Parken im öffentlichen Raum, mehr Parksuchverkehr und der Kampf um den Stellplatz am Straßenrand. Am Ende stehen dann doch wieder städtische Investitionen in Parkhäuser. Die Rechnung begleicht der Steuerzahler.

Das erweiterte Mobilitätskonzept, das GP Joule im Auftrag des Projektentwicklers derzeit in Landsberg vorstellt, ist weit vorgreiflich. Viele Institutionen müssten daran mitwirken. Ob es je verwirklicht werden kann, ist ungewiss. Ob die Bürger es akzeptieren, steht in den Sternen. Diese Vision für die Zukunft rechtfertigt keinen Freibrief für die Gegenwart. Viele Elemente wie eine zentrale Paketzustellung und eine bessere Lade-Infrastruktur haben mit dem Car-Sharing gar nichts zu tun. Landsberg kann gerne, mit noch zu vereinbarender Unterstützung des Bundes und des Freistaats, neue Arten von Mobilität erproben. Ein sofortiger Verzicht auf Tiefgaragenplätze rechtfertigt sich dadurch aber nicht.

Quelle: landsbergblog, www.landsbergblog.info. Zurück zum Artikelfeed