Wehrhafte Demokratie

Mittwoch, 26.05.2021

Im Oktober 2020 kritisierte der landsbergblog, dass das Landratsamt zum wiederholten Mal stundenlange Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen genehmigt hatte, die das Leben in der Innenstadt praktisch zum Erliegen brachten. Da viele Teilnehmer keine Maske trugen, waren Einkäufe und Lokalbesuche in dieser Zeit faktisch nicht möglich. Besonders grotesk erschien uns, dass die Behörden vorgezeigte Atteste, von der Maskenpflicht befreit zu sein, als rechtlich relevant betrachteten und akzeptierten.

Hinsichtlich der Atteste wiesen wir darauf hin, dass sie nicht das Recht vermitteln, an Demonstrationen teilzunehmen, bei denen die Auflagen "Maske und Abstand" gelten. Das Attest schütze, sofern nicht missbräuchlich ausgestellt, allenfalls vor Bestrafung, sei aber kein Freibrief zur Teilhabe, zumal immer gegen die Rechte von Gastronomen, Einzelhändlern und Passanten auf körperliche Unversehrtheit abzuwägen sei. Und hinsichtlich der Genehmigung der Kundgebungen schrieben wir: "Es ist naiv, die Einhaltung der Auflagen zu unterstellen, obwohl man weiß, dass ihre Nichteinhaltung integraler Bestandteil der Demo ist." Das Landratsamt solle sich "wehrhaft" zeigen und auch mal ein Gerichtsverfahren riskieren.

Beiden Ansichten ist das Amt soweit ersichtlich nicht gefolgt. Zwar kann man unterstellen, dass die Behörden in Sachen "Atteste" heute anders denken, zumal inzwischen mehr über die Art und Weise der Ausstellung, die Zahl der Bescheinigungen und die handelnden Personen bekannt ist. Es ist aber nach wie vor zu befürchten, dass erneute Anträge auf Demos auf dem Hauptplatz oder dem Hellmair-Platz nicht abgelehnt würden. Deswegen sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Sache anderswo ganz anders gehandhabt wurde. Immer mehr Landkreise und kreisfreie Städte untersagten Demonstrationen von "Querdenkern" und anderen, weil der Verstoß gegen Hygienemaßnahmen geradezu vorgezeichnet war.

Das aktuellste Urteil dazu stammt aus der vergangenen Woche. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin entschied, eine Demonstration müsse nicht genehmigt werden, wenn "an den prominenten Orten der Stadt" die notwendigen Hygienemaßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingehalten würden. "Mit der beabsichtigten Durchführung der Versammlungen gehen unmittelbare Gefahren für die Grundrechte Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit einher. Diese Rechtsgüter sind gefährdet, weil die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer nach der plausiblen Gefahrenprognose die zur Vermeidung von Infektionen auch im Freien einzuhaltenden Mindestabstände voraussichtlich nicht beachten werden", heißt es im Urteil des Verwaltungsgerichts, das das OVG in vollem Umfang und bestandskräftig bestätigte. Ausschlaggebend für diese Annahme seien die negativen Erfahrungen mit zahlreichen Versammlungen der Vergangenheit.

Der erneute Hinweis auf die Optionen des Landratsamts im Sinne einer wehrhaften Demokratie scheint uns besonders deswegen angebracht, weil die Corona-Gefahr inzwischen zwar reduziert ist, aber nur wenn und soweit die Schutzmaßnahmen von der Impfung bis zum Abstand auch konsequent weitergeführt werden. Zu vorzeitigen Jubelrufen besteht kein Anlass. Eine neue Verwaltungspraxis ist daher nach wie vor erforderlich.

Quelle: landsbergblog, www.landsbergblog.info. Zurück zum Artikelfeed